Jungbauer Martin Stiegler setzt auf Hühner, Hasel und gute Architektur.
Jungbauer, Bauherr und Haselnussflüsterer: Der fränkische Landwirt Martin Stiegler hat die Ausrichtung und Architektur der traditionellen, familiengeführten Hofstelle auf den Kopf gestellt. In wenigen Jahren ist er mit dem Unternehmen FrankenGeNuss zum wahrscheinlich besten Haselnussbauern des Landes geworden, hat ein preisgekröntes Architekturensemble realisiert und wurde für seine zwei nomadischen Hühnervölker im Haselnussfeld als Landwirt des Jahres ausgezeichnet.
Aus heutiger Perspektive scheint die Geschichte von Martin Stiegler und den Haselsträuchern einer klaren Bestimmung zu folgen. Auf dem Weg zum Nussbauern wurde er nämlich gleich mehrmals herausgefordert. Nur um genau dort zu landen, wo er heute ist. Das Schicksal durchkreuzte eine Karriere als Fußballprofi, verhinderte die langfristige Umstellung auf den Tabakanbau und konfrontierte ihn mit einem Brand auf dem historischen Familienhof. Der gerade einmal 33-jährige Bauer hat sich aus all diesen Stolpersteinen einen Weg gebaut, der ihn zur Gründung einer der größten Haselnussfarmen Deutschlands führte.
Damit ist er so erfolgreich, dass er 2023 zum „Landwirt des Jahres“ gekürt wurde. „Aber wie Arbeit fühlt sich das nicht an“, sagt er lachend – und man glaubt es ihm sofort. Martin Stiegler ist ein lebendiger Erzähler. Man kann ihn sich ebenso gut auf dem Hasel- wie auf dem Fußballfeld vorstellen. 13 oder 14 Jahre war Martin Stiegler alt, da wurde er zur Bayernauswahl eingeladen. Doch kurze Zeit später verletzte er sich so schwer, dass die potenzielle Karriere vor dem Aus stand. Fußball hätte ihn vielleicht vom Hof der Familie trennen können. Doch so folgte das Studium der Landwirtschaft in Triesdorf und der Einstieg ins Familienunternehmen Landwirtschaft.
Um zu erklären, wie die Stieglers zu Nuss kamen, holt Martin Stiegler weit aus – bis ins Jahr 1648. Seitdem ist der Hof im Weiler Gonnersdorf in Cadolzburg bei Fürth in Familienbesitz. Straßennamen gibt es bis heute keine, denn das Dorf ist so klein, dass es reicht, den Häusern Nummern zuzuweisen. Auf dem klassischen Dreiseithof der Stieglers wurde traditionell Ackerbau und Viehwirtschaft betrieben. Aber familiengeführte Landwirtschaften wie die der Stieglers stehen vor komplexen wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen.
Sie sind zu groß, um als kleinbäuerlich geschützt zu sein, zu klein, um mit industriellen Großbetrieben mitzuhalten. Und müssen ihre Nische finden. Der Nichtraucher Fritz Stiegler versucht es erst mit Tabak, doch als 2005 endgültig die Subventionen eingefroren werden, muss Ersatz her. Auf der Liste der möglichen Anbau-Alternativen steht auch die Haselnuss. Als Nutzpflanze fordert sie mehr Geduld als Weizen oder Gemüse. Erst nach etwa fünf Jahren können die ersten Nüsse geerntet werden, nach zehn Jahren gibt es eine Vollernte. Das ist ihr Vorteil und gleichzeitig ihr Nachteil: Sie ist ein Nischenprodukt.
Als Haselnussbauer hat man wenig Konkurrenz, aber auch wenig Gleichgesinnte, die man um Rat fragen könnte.
Eine Chance für
die Haselnuss
2005 starten die Stieglers mit 45 Haselnusssorten auf zwei Hektar Land. Und Martin Stiegler, damals noch Student, widmet sein Praxissemester der Haselnuss. Auf einer Haselnussfarm in Oregon lernt er alles über die Pflege, Ernte und Verarbeitung der Nuss. Er macht seine Sache so gut, dass seine Gastgeber ihm vorschlagen, den Betrieb eines Tages zu übernehmen.
Doch Martin Stiegler lehnt ab und kehrt nach Gonnersdorf zurück. Er will aus dem Familienhof eine Haselnussfarm machen – und muss dafür zunächst einmal die Familie überzeugen. Vor allem von den Investitionen. „Ich brauchte 50.000 Euro, um etwa eine Röstmaschine anzuschaffen. Viel Geld für einen Sprung ins Ungewisse – deswegen hieß es auch erst einmal: nein. Nach zwei Tagen Bedenkzeit gab mein Vater mir aber doch die Zusage. Sein Argument: Hätten wir wie mancher Nachbarhof größere Ställe für Tiere bauen müssen, wäre das weitaus teurer gewesen. Also bekam die Haselnuss ihre Chance.“
Visionärer
Neubeginn
Ein halbes Jahr nach der ersten Ernte im Jahr 2014 brennt es auf dem Stieglerhof. Nur die alte Schmiede mit ihren dicken Mauern trotzt dem Feuer, der Rest ist nicht zu retten. „Das war fürchterlich“, erinnert sich Martin Stiegler. Aber zur Mentalität der Familie gehört auch, nach vorn zu schauen. Die Krise als Chance zu nehmen, etwas Neues zu schaffen. „Jetzt hätte man ein paar billige Lagerhallen hochziehen können“, sagt Martin Stiegler. Aber so ticken die Stieglers nicht. Sie wollen im Sinne der lokalen Bautraditionen planen, nachhaltig agieren und etwas schaffen, das sich auch an die nächste Generation weitergeben lässt.
Einer, der damals sofort an ihrer Seite steht, ist Peter Dürschinger. Er ist ein Fußballkollege, ein langjähriger Freund der Familie, aber vor allem: ein renommierter Architekt. Peter Dürschinger führt sein Architekturbüro in Fürth und ist für seine regionssensiblen Entwürfen bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet worden. Als die Stieglers vor den Trümmern ihres Hofes stehen, sagt er seine Unterstützung zu. Seine Vision: Eine zeitgemäße Architektur, als Hommage an die hiesige Geschichte, errichtet aus lokalen und natürlichen Materialien sowie mit einer Formensprache, die das Historische im Zeitgenössischen dekliniert. Dazu gehört, bei allen Gebäuden die Dachüberstände wegzulassen, damit die natürlichen Holzfassaden gleichmäßig unter Wettereinfluss vergrauen.
„Es war schon eine Herausforderung, sich vorzustellen, wie das aussehen würde“, sagt Martin Stiegler. „Aber wir haben vertraut“. Es ist dieses Vertrauen, dass die Zusammenarbeit zwischen der Familie und dem Architekten prägt und die Grundlage dafür, dass hier in den folgenden Jahren ein besonderer Ort entsteht.
Schutt als
Ressource
„Auf dem Dorf wurde traditionell immer mit dem gebaut, was an Materialien unmittelbar zur Verfügung stand“, erläutert Peter Dürschinger.
Der Wiederaufbau des Stieglerhofes soll dieser Leitidee folgen und die Materialien nutzen, die sich im Schutt noch bergen ließen. Das waren vor allem große Sandsteinquader, aus denen dann die neuen Fundamente konstruiert wurden. Sie konservieren heute ein Stück Geschichte und prägen die Bauästhetik. Rustikal stehen sie im Kontrast zu den klar strukturierten Holzfassaden aus regionalen Bäumen und den minimalistischen, geometrischen Silhouetten. Und sie schlagen den Bogen zur alten steinernen Schmiede. Sie ist heute ein 24/7-Laden mit Automaten mit Produkten von FrankenGeNuss.
„So haben auch die Besucher, die nicht für eine Besichtigung auf unseren Hof kommen, ein historisch authentisches Erlebnis“, erklärt Martin Stiegler. Nachhaltig und zirkulär spiegelt die Architektur wider, was auch die Landwirtschaft der Stieglers prägt: Identität, Haltung und Verantwortung.
Zirkuläre
Nusswirtschaft
Der Hof folgt einer Philosophie, die man in der Nutztierhaltung „Nose to Tail“ nennt und die in Bezug auf die Haselnuss eine ganzheitliche Verwendung der Pflanze beschreibt.
So werden die Nussschalen zu einer Alternative für Rindenmulch verarbeitet und faule Nüsse zu Tier- und Hühnerfutter. Letzteres geht direkt in den Kreislauf: Denn um den Haselnussbohrer, einen Nüsse liebenden Rüsselkäfer, auf seinen Feldern unter Kontrolle zu halten, schaffte Martin Stiegler zwei Hühnergemeinschaften an. Die Larven des Schädlings sind für sie eine Delikatesse. Indem er die Hühner in mobilen Ställen von Parzelle zu Parzelle seiner zehn Hektar Land fährt, hat er die Käfer unter Kontrolle, gut gedüngten Boden und nebenbei noch Eier von ausgezeichneter Bio-Qualität.
Die stehen heute im Hofladen zwischen hausgemachter Nougatcreme, Haselnussöl, Nussnudeln und Eierlikör mit Haselnussgeist. Sind alle Nüsse der letzten Herbst-Ernte im Direktvertrieb abverkauft, schließt Martin Stiegler den Hofladen. Bis zur nächsten Saison. Martin Stiegler denkt zirkulär, ganzheitlich und mit Respekt vor der Natur – genau wie der Architekt.
Keine
Kompromisse
Der Status Quo von FrankenGeNuss ist für Martin Stiegler nicht das Ziel, sondern nur der Anfangspunkt für neue Ideen.
Ständig experimentiert er an neuen Nussrezepten, plant eine Photovoltaik-Anlage oder die Erweiterung des Hofensembles, das mittlerweile nicht nur Wohn- und Arbeitsort, sondern auch Veranstaltungsfläche und Besucherzentrum ist. Seit einiger Zeit will er einen Zwischenhof überdachen. Eigentlich geht das nicht ohne Architekt Peter Dürschinger, nur der hat gerade gut zu tun. Weil sein Entwurf also auf sich warten lässt, lassen die Stieglers schnell von den Handwerkern eine Skizze machen. Sie planen ein einfaches Glasdach als Wetterschutz. „Als wir Peter Dürschinger das weitergeleitet haben, kam prompt eine Antwort: ‚Also so geht das aber nicht.‘ Seine Lösung, ein angehobenes Dach, das auf Architektur und Sonnenstand eingeht, kam direkt hinterher.
Und hat mal wieder gezeigt, wie viel er von seinem Fach versteht.“ Martin Stiegler lacht anerkennend. Für ihn erzählt diese Anekdote viel von der kompromisslosen Leidenschaft des Architekten für seine Entwürfe, und wohl auch von der eigenen. In Peter Dürschinger hat er einen Komplizen gefunden, der seine Visionen so kompromisslos und nachdrücklich verfolgt, wie er selbst – und genau aus diesem Grund eine perfekt zur Philosophie seiner Landwirtschaft passende Hofstelle geschaffen hat.














