Mut zum Holz, Mut zur Gemeinschaft: Am Rande von Kranzberg entstand auf einem ehemaligen Parkplatz ein mehrfach ausgezeichnetes Mehrgenerationenhaus. Die vier Gebäude in traditioneller Hofstruktur und moderner Holzbauweise zeigen eindrucksvoll, wie ökologisches Bauen, soziale Vielfalt und architektonische Qualität zusammenfinden. Das von der Gemeinde selbst initiierte Projekt ist ein Vorbild für nachhaltiges Wohnen und ländliche Baukultur mit Zukunft.
m südlichen Ortsrand der oberbayrischen Gemeinde Kranzberg und in Sichtweite zum Naherholungsgebiet Kranzberger See steht ein Häuserquartett, eingebettet in die gewachsene Landschaft. Das ganze Ensemble erinnert an einen traditionellen Bauernhof. Zwei der Gebäude sind wie Scheunen komplett aus Holz gefertigt und überragen die beiden kleineren Baukörper mit ihren roten Dächern. Beim näheren Hinsehen wird schnell klar: Es handelt sich um zeitgenössische Gebäude, die klassische Bauformen zitieren, mit ihren Fassadendetails und der räumlichen Organisation aber eine moderne Architektursprache sprechen. An dieser Stelle lag 2017 noch ein Parkplatz, dann entschloss sich die Gemeinde als Eigentümer des Geländes zu einem ungewöhnlichen Schritt. Sie initiierte in Eigenregie ein Mehrgenerationenwohnhaus und war eine der ersten Gemeinden der Region Freising, die das bayerische Kommunale Wohnraumförderprogramm (KommWFP) nutzte. Neben einem zinsvergünstigten Darlehen bezuschusst der Freistaat Bayern rund 30 Prozent der Baukosten und ermöglicht so die Realisierung von Modellprojekten mit besonderen Bauqualitäten.
ie Gemeinde als Bauherr
Nicht nur die Kommune als Initiator und Bauherr ist besonders, sondern auch die Wahl des Baumaterials. Die beiden planenden Architekturstudios „Büro Dantele“ aus Freising und „Buero Kofink Schels“ aus München entschieden sich für Holz. Sie hatten sich als junge Büros in einem Wettbewerb qualifiziert, den die Gemeinde 2018 ausgelobt hatte. „Unser Planungsanspruch war es, generationsübergreifenden und barrierefrei zugänglichen Wohnraum zu schaffen. Die Gebäude sollten mindestens dreigeschossig sein und es sollte eine gute Durchmischung der Wohnungsgrößen geben. Die Wahl des Baustoffes blieb uns überlassen, aber wir haben mit unserem Entwurf ganz klar auf Holz als Thema abgezielt“, berichtet Johannes Dantele aus der Wettbewerbsphase. Für ihn ist Holz in der Architektur ein wichtiges Zukunftsthema. Als nachwachsender, CO2-speichernder Baustoff ist Holz eine ökologisch sinnvolle Ressource. Holz verbraucht bei der Verarbeitung deutlich weniger Energie als Beton oder Zement, die große Mengen an Treibhausgasen verursachen. Besonders Bayern verfügt zudem über reichhaltige, nachhaltig bewirtschaftete Wälder, was kurze Transportwege und regionale Wertschöpfung ermöglicht. Im ländlich geprägten Bayern knüpft der Holzbau zudem an traditionelle Bauweisen an und verbindet so Klimaschutz mit kultureller Identität.
Vorbild Bauernhof
Auch der städtebauliche Ansatz der beiden Büros beruft sich mit ortstypischen Strukturen aufs Lokale. Statt großer Baublocks entschied man sich für eine kompakte Setzung mehrerer Gebäude, die sich nach Vorbild einer Hofstelle um einen Platz gruppieren. „Die Wohnanlage ist das Erste, was man sieht, wenn man ins Dorf hineinfährt“, sagt Dantele. „Und sie sticht grundsätzlich aus der Struktur von Doppelhaushälften und Einfamilienhäusern heraus, die landauf, landab in den Gemeinden vorherrscht. Wir wollten bewusst keine Zersiedelung und haben hier 21 Wohneinheiten auf kleiner Fläche geschaffen. Durch die Stellung der Baukörper, die Dachformen und Materialien gelingt es dennoch, dass sich die Architektur in die umgebende Dorfstruktur einfügt. Die Orientierung am Traditionellen spiegelt sich auch in der Funktion der zentralen Fläche wider, um die sich die beiden Wohngebäude, ein Gemeinschaftshaus und ein Nebengebäude gruppieren. „Es war ganz klar unser Anspruch, einen Raum zu bilden, den es auf diesen Dörfern eigentlich nicht mehr gibt – und damit einen Ort der Begegnung“, sagt Dantele.
Wo Platz kein Mangel ist
Von der Planung bis zur Realisierung verfolgten die Gemeinde und die Architekten einen konsequent nachhaltigen und ressourcenschonenden Ansatz. Eine der ersten Entscheidungen fiel deshalb gegen Keller und Tiefgaragen. „Der Grundwasserspiegel ist hier relativ hoch“, erklärt Simon Jüttner, Mitgründer von Kofink Schels. „Außerdem hätten wir beim Aushub der Baugrube einige der über vierzig Jahre alten Bäume entfernen müssen, die jetzt gebäudenah stehen geblieben sind.“ Fahrräder, Haustechnik und Mülltonnen sind im Nebengebäude untergebracht, die Parkplätze wurden vor den Gebäuden installiert. „Wir sind ja nicht in der Stadt, wir haben ja Platz“, meint Jüttner. Die Hof- und Parkflächen wurden bewusst nicht versiegelt, damit das Regenwasser versickern kann. Die parkenden Autos stehen hinter dem Nebengebäude, das den Hof gegen die Parkplätze abschirmt.
ah am Grün
Ans Grundstück schließt sich ein dichter Baumbestand an, nach dem sich auch die Wohnräume, Terrassen und Balkone ausrichten. „Da fanden wir es absolut logisch, auch das Gebäude in Holzbauweise zu errichten. Die Anmutung, die Oberfläche, der Geruch und die Lichtstimmung sind in Kombination mit dieser Aussicht einfach schön. Zudem haben wir einen nachwachsenden Baustoff, der CO2 bindet und eine zertifizierte Herkunft hat“, beschreibt Dantele. Ein bisschen Überzeugungsarbeit für den Holzbau war allerdings notwendig. „Einige Gemeinderäte hatten schon Vorbehalte. Was ist, wenn die Termiten kommen? Oder es gibt einen Wasserschaden? Wir haben damals einige Exkursionen zu anderen Gemeinden mit Holzbauprojekten unternommen. Und wir hatten die Statik auf unserer Seite. Eigentlich ist Holzbau immer etwas teurer als herkömmliche Bauweisen. Da wir hier jedoch einen relativ schlechten Baugrund hatten, hätte dieser für ein schweres Gebäude erst mit Betonpfählen gesichert werden müssen. So war die Entscheidung vielmehr eine Geschmacks- und Strategie- als eine Kostenentscheidung.“
Ohne Mäuerchen und Zäunchen
Eine Investition war hingegen das Gemeinschaftshaus, das erste Haus am Platz. Die Architekten bestanden auf dessen Notwendigkeit. „Verdichtetes Wohnen ist bei vielen Menschen negativ konnotiert. Wir belegen, dass es auch Vorteile hat. Ein Beispiel ist der autofreie Hof, auf dem die Kinder gemeinschaftlich spielen können. Im Gemeinschaftshaus trifft sich die Bewohnerschaft, es gibt eine Leinwand für Public Viewing, hier werden Geburtstage gefeiert und Veranstaltungen organisiert.“ Zusätzlich ist die Architektur darauf ausgelegt, kleine Begegnungsmomente zu schaffen. Die großzügig gestalteten Laubengänge laden dazu ein, stehenzubleiben und wettergeschützt einen Plausch mit den Nachbarn zu halten. Da die verschiedenen Funktionen auf verschiedene Bereiche und Häuser verteilt sind, müssen die Bewohner den Platz immer wieder queren, um zu ihren Autos zu gelangen, die Briefkästen zu leeren oder das Gemeinschaftshaus zu betreten. „Der Freiraum ist für alle da“, sagt Dantele. „Mäuerchen und Zäunchen gibt es hier nicht.“
on Kritikern zu Überzeugungstätern
„Seit der Fertigstellung wurde das Kranzberger Mehrgenerationenhaus mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter eine Auszeichnung beim Deutschen Städtebaupreis 2023, der Bayerische Holzbaupreis 2022 und der BDA-Preis Bayern 2024. Das zeigt uns, dass sich unser Einsatz gelohnt hat. Auch die Gemeinde und der Bürgermeister sind sehr stolz auf dieses Projekt“, resümiert Johannes Dantele. Der Mut hat sich für alle ausgezahlt. Der Mut, zwei junge Büros zu beauftragen. Der Mut, die Holzbauweise umzusetzen. Und der Mut, als Gemeinde zum Bauherrn zu werden. „Aber nur durch die Offenheit solcher Verfahren kann sich Baukultur weiterentwickeln“, meint Jüttner. Heute kommen andere Gemeinden nach Kranzberg, um sich das ausgezeichnete Pionierprojekt anzuschauen. „Und der Bürgermeister, ursprünglich skeptisch gegenüber Holz als Baustoff, führt überzeugt durch die Wohnanlage.“













