– – – – – – – Das Münchner Unternehmen Urban Standards ist seit zehn Jahren ein Vordenker im Bereich der Mobilitätsgestaltung und hat bereits in mehr als 90 Quartiersentwicklungen in Deutschland beraten. Die Architektin Sophie Stigliano war von Anfang an dabei und ist eine Expertin für die Werkzeuge der Mobilitätswende. Sie unterstützt zunehmend auf dem Land Quartiere mit strategischer Beratung und Masterplänen, Parkraummanagement und nachhaltigen Mobilitätsmodellen.

Unsere gebaute Umgebung ist heute vor allem eines: autozentriert. Jahrzehntelang wurden Städte primär auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtet. Straßen und Parkplätze drängen Bürgersteige und soziale Freiräume an den Rand und das hohe Verkehrsaufkommen bringt die Feinstaubbelastung an ihre Grenzwerte. Sophie Stigliano will das ändern. Die studierte Architektin arbeitet beim Münchner Unternehmen Urban Standards und widmet sich der Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte. Damit arbeitet sie zwischen den Gemeinden, Immobilienentwicklern, Stadtplanern und Architekten in einem Feld, von dem nur die wenigsten wissen, wie sein Auftrag genau lautet.
Längst liegt die Alternative zum eigenen Auto nicht mehr nur bei ÖPNV und Fahrrad, dank der Digitalisierung ist Mobilität ein vielschichtiges, gut steuerbares und kollektives Thema – aber auch eines, dass hochkomplex und planerisch anspruchsvoll ist.
–––––––––– Pionierin einer neuen Profession ––––––––––
In ihrem früheren Job als Architektin stellte Stigliano schnell fest, dass Mobilitätsplanung ein unterrepräsentiertes Anliegen ist, gleichzeitig aber ein wichtiges Zukunftsthema. „Tatsächlich ist sie als reale Disziplin gerade vielleicht einmal zehn Jahre alt“, resümiert sie. Sie selbst ist damit als Mitarbeiterin des 2016 gegründeten Unternehmens Urban Standards eine Strategin der ersten Stunde und hat sich in den letzten Jahren vor allem auf die Quartiersmobilität spezialisiert.
Ihr Thema ist damit nicht die Stadt oder das Dorf als Gesamtorganismus, sondern nur die Zelle: Wohnviertel, Kieze, Blöcke, Neubaugebiete. „Wir arbeiten sowohl mit Kommunen zusammen als auch mit privaten Immobilienentwicklern. Inhaltlich kümmern wir uns um vielfältige Typologien, wir machen eine generelle Baulandentwicklung, planen mit der Mischnutzung und beschäftigen uns mit reinen Wohn- oder Gewerbegebieten.“ Gleichzeitig ist sie eine Botschafterin ihrer jungen Profession. Die Öffentlichkeit, Entscheider, die Politik oder Immobilienentwickler für Mobilität als planerische Aufgabe zu sensibilisieren ist auch proaktive Aufklärungs- und Informationsarbeit.
–––––––––– Parkplatz nach Norm ––––––––––
Früher wurden nur Verkehrsplaner hinzugezogen um Knotenpunkte zu evaluieren und Schleppkurven für Tiefgaragenzufahrten zu bemessen. Heute haben viele ihrer Auftraggeber verstanden, dass Mobilitätsplanung eine sinnvolle zusätzliche Leistung ist, die am besten vorausschauend funktioniert. „Es ist wichtig, dass wir von Beginn an dabei sind und die planerischen Prozesse begleiten.“ Anstatt starren Schlüsseln und Normen zu folgen, geht es um eine individuelle und situative Bewertung und darum, auf dieser Grundlage die Werkzeuge der Mobilitätsplanung positiv und zukunftsorientiert einzusetzen. „Um effizient zu sein, muss man vorher untersuchen, wie die Menschen mobil sind und welche Flächen wie genutzt werden.“ Früher folgten Planer und Gemeinden einer einfachen Rechnung. „Für jede gebaute Wohnung wurden beispielsweise einfach zwei Stellplätze für Autos bereitgestellt. Wenn die dann nicht genutzt wurden, ging wertvoller Raum als versiegelte Leerfläche verloren. Mit Mobilitätskonzepten kann das minimiert werden und der kollektive Raum auf den tatsächlichen Bedarf sowie auf andere Fortbewegungsmittel eingestellt werden.“
–––––––––– Bedürfnisorientierte Raumverwaltung ––––––––––
Besonders einer Sache hat Sophie Stigliano den Kampf angesagt: Tiefgaragen. Die will sie aus dem Architektur-Vokabular am liebsten streichen. „Ein Tiefgaragenstellplatz kostet im Schnitt 50.000 Euro, die als Baukosten auf Mieter oder Käufer umgelegt werden und damit gegen bezahlbaren Wohnraum arbeiten. Außerdem sind sie eine Katastrophe für den umgebenden Grünraum. Sie blockieren tief wurzelnde Bäume, vermindern die Versickerung und damit das Grundwasser und sind kaum flexibel.
Und: Sollte man die Tiefgarage eines Tages nicht mehr brauchen, können sie als fensterlose und unterirdische Asphaltwüsten kaum sinnvoll umgenutzt werden.“ Das Ziel: Der zur Verfügung gestellte Parkraum wird auf das nötige Maß beschränkt und überirdisch in den Städtebau integriert. „Die pauschalen Regularien nehmen zudem überhaupt nicht in die Rechnung mit rein, wer eigentlich einzieht. Ein Single braucht vielleicht kein Auto, eine Familie schon. Es ist sehr wichtig, sich die Situation bedarfsgemäß anzuschauen.“
–––––––––– Kraftfahrzeug-Tetris dank App ––––––––––
In der Praxis ist das natürlich schwierig, weil gerade bei Neubaugebieten die späteren Bewohner noch gar nicht feststehen. In diesem Fall erstellt Urban Standards Erreichbarkeitsstudien. Wie lange brauchen die zukünftigen Anwohner zum Supermarkt, welche anderen Ziele steuern sie an und brauchen sie dafür ein Auto, ein Fahrrad oder geht es zu Fuß? Dann wird der ÖPNV untersucht. Wo sind die nächsten Haltestellen und Bahnhöfe und welche Pendlerströme sind hier zu welchen Zielen zu erwarten und wie werden sie bedient? Mit allgemeinen Statistiken und Studien zum Ist-Zustand der Mobilität in der jeweiligen Region nähert sich die Kalkulation dem tatsächlichen Bedarf an. Zusätzlich können Projektentwickler ihre Bewohner zu Alternativen motivieren, etwa mit kollektiv nutzbaren Fortbewegungsmitteln wie Lastenfahrrädern oder Carsharing-Modellen. Hier erlauben digitale Werkzeuge wie die von Urban Standards entwickelte App MIM ein dynamisches Parkplatz-Mobilitäts-Management. „Stellplatz-Tetris“ nennt Sophie Stigliano das. Wenn die einen im Büro sind, bekommen andere vielleicht Besuch, ein Lieferdienst kann dort parken, wo ein anderer gerade mit seinem Auto beim Supermarkt steht. Apps machen das Tetris dynamisch kontrollierbar, zeigen freie Stellplätze an und können individuelle Nutzer-Routinen einkalkulieren.
–––––––––– Weniger Autos bedeuten mehr Raum für alle ––––––––––
Mobilitätsplanung betrifft nicht nur Autos, aber immer auch Autos. „Das wichtigste Ziel ist es, private Autofahrten zu minimieren“, meint Sophie Stigliano. „Wichtig ist, dass die Menschen verstehen, dass es nicht darum geht, jemandem etwas wegzunehmen. Aber das, was wir haben, müssen wir sinnvoll nutzen. Wenn der Öffentliche Raum nicht monofunktional als Straßenraum genutzt wird, sondern als Spielplatz, Gemeinschaftsgarten oder Aufenthaltsfläche, dann ist das ein fühlbarer Mehrwert für alle.“ Die große Herausforderung für die Mobilitätsplanung ist, dass es eben nicht die eine Lösung für alle gibt.
Auf dem Land etwa müssen viele Leute pendeln. „Wenn dann der Bus alle drei Stunden kommt, dann kann es eigentlich nur darum gehen, einen Zweitwagen zu vermeiden“, sagt Stigliano. In der Stadt ist die Herausforderung eine andere. Selten wird hier neu gebaut, es wird vor allem nachverdichtet und optimiert. Da geht es dann vielleicht darum, besetzte Flächen für neue Nutzungen frei zu spielen, etwa Garagenhöfe zu reduzieren und so Bauplatz zu schaffen.
–––––––––– Heute für morgen planen ––––––––––
Der Bereich der Mobilität ist aktuell in Bewegung – und wird sich auch in Zukunft weiterentwickeln. „Ein ganz wichtiges Thema für unsere Profession ist die Zukunftsfähigkeit. Die Realisierung mancher Quartiers-Bauprojekte dauert auch schon mal zehn Jahre. Wir planen für eine kommende Realität. Das heißt für uns, dass wir Projekte auch mal proaktiv beeinflussen müssen, etwa durch Sharing-Konzepte.“ Sie plädiert dafür, mutiger zu sein, Angebote ohne vorausgehende Nachfrage zu schaffen und die Menschen im Alltag mit funktionierenden Systemen zu überzeugen. „Das ist dann manchmal fast Zwangsbeglückung“, meint Stigliano. Außerdem ist wichtig, dass Sharing-Konzepte nicht an der Planbarkeit und Verlässlichkeit scheitern. Um Frust zu vermeiden, müssen immer ausreichend Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Wenn jemand auf dem Weg zur Verabredung kein Auto mehr abbekommt, ist die Begeisterung für Kollektivlösungen schnell verpufft. Gleiches gilt für die langfristige Planbarkeit. Stigliano plädiert hier für Geduld. „Ich beobachte oft, dass Gemeinden Pilotprojekte initiieren, die vielleicht fünf Jahre finanziert sind – und nach Versickern der Geldmittel leise verschwinden. Verstetigung ist wichtig. Auch wenn man manchmal einen langen Atem braucht, bis Angebote konsequent angenommen werden.“ Es müssen eben nicht nur die Nutzer umdenken, sondern auch die Städte und Kommunen, um die Mobilität zu einem elementaren Teil der Quartiersentwicklung zu machen. Sophie Stigliano bringt die Zielsetzung auf eine einfache und kurze Formel: „Die Leute müssen mobil bleiben. Aber eben attraktiv, finanzierbar und vielfältig“.





