Florian Nagler hat eine Mission: Er will eine neue Baukultur. Seit 1996 arbeitet der Münchner als selbstständiger Architekt, 2001 gründete er mit Barbara Nagler das Büro Florian Nagler Architekten, seit 2010 leitet er den Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren an der TU seiner Heimatstadt – und er hat sich mit all seinen Projekten dem einfachen Bauen verschrieben. Nagler appelliert daran, auf alles Überflüssige zu verzichten, nachhaltig zu konstruieren und Gebäude mit Blick auf ihren Standort zu planen.


 


Ein Gespräch über ››Einfach Bauen‹‹


 

Das Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ untersucht Bauweisen und Materialien auf ihre Umweltverträglichkeit. 


Sie sind auf dem Dorf groß geworden. Wie hat sie dieses Milieu, aber auch die Architektur geprägt? 


Ich bin gerne auf dem Land aufgewachsen. Das soziale, aber auch das bauliche Umfeld, das vor allem aus Bauernhäusern bestand, hat mich sehr geprägt. Meine Eltern waren beide Lehrer und wir wohnten im Schulhaus. Meine Mutter hat in einem Raum die Klassen eins bis vier unterrichtet, mein Vater in einem anderen die Klassen fünf bis acht. Es war alles recht eng und die Trennung zwischen Arbeit und Privatem manchmal fließend – es konnte vorkommen, dass meine Eltern Schüler rüberschickten, um bei mir und meinen Geschwistern nach dem Rechten zu sehen.


Warum sind Sie nicht in die elterlichen Fußstapfen getreten, sondern Architekt geworden?


Mein Vater wurde später Bürgermeister und ihn hat beschäftigt, wie Dörfer wie unseres ihren Charakter erhalten können. Das war schon ein familiärer Themenkosmos: In meiner Facharbeit im Abitur schrieb ich über Handwerkstechniken bei alten Häusern. Nach der Schule habe ich erst einmal eine Lehre als Zimmerer begonnen. Eigentlich, weil ich Wartesemester für das Architekturstudium überbrücken musste. Aber auch, weil ich dachte, dass das Erlernen eines Handwerks eine sinnvolle Grundlage ist. 


Wie hat sich die praktische Arbeit auf dem Bau auf Ihre Arbeit als Architekt ausgewirkt


Ich konnte auf vielen Ebenen viel mitnehmen. Ich habe mich tief mit dem Konstruktiven beschäftigt, eine nachhaltige Liebe zu Holz entwickelt und verstanden, wie man mit dem Material umgeht. Und wenn man viel Zeit auf Baustellen verbracht hat, dann lernt man, wie Handwerker ticken – beispielsweise wie sie über Architekten sprechen, wenn die gerade nicht da sind (lacht).



Hat man größeren Respekt vor dem Wissen eines Handwerkers, wenn man selbst einer ist? 
Gehen Sie bei der Planung in den Diskurs?


Projekte, bei denen das möglich ist, sind mir die liebsten. Es funktioniert aber nur, wenn man nicht mit festen Vorstellungen auf die Baustelle kommt. Am liebsten entwickeln wir mit dem Büro Detaillösungen im direkten Austausch. Wenn man sich aufeinander einlässt, kann man gemeinsam konstruktiv und gestalterisch gute Lösungen entwickeln. Bei den Forschungshäusern beispielsweise haben wir das erste Mal ein Dämmbetonhaus ohne Bewehrung gebaut oder einen gemauerten Segmentbogen umgesetzt, der aus dem gleichen Stein ist wie die Wand. Da hat dann der Maurer den Wandstein in vier Teile geteilt und sich überlegt, wie das Auflager funktioniert – so sind die Häuser auch auf der Baustelle im Kollektiv entstanden. Wenn man sich das Neuland gemeinsam erfolgreich erschließt, ist es für alle eine gute Erfahrung.


Die Forschungshäuser sind Teil Ihres Projekts „Einfach Bauen“. Worum geht es hier?


Obwohl wir uns als Architekturbüro immer bemüht haben, gute Energiekonzepte umzusetzen und verantwortungsvoll mit Ressourcen umzugehen, haben wir gemerkt: Eigentlich läuft das nicht in die richtige Richtung. Weil die Häuser viel zu technisch und komplex sind, sind sie anfällig oder funktionieren nicht so wie eigentlich geplant. Wir wollten dieser Entwicklung Häuser entgegensetzen, die sich auf ihre historische Typologie und Architektur besinnen. Mit Kollegen von der TU München, wie Thomas Auer, haben wir ein Forschungsprojekt initiiert. Dabei hatten wir das Ziel, die Ergebnisse auch in der Realität zu überprüfen. Ein dicker Forschungsbericht, der irgendwo auf einem Server lagert, hat keine Schlagkraft. Ein realisiertes Gebäude, das man sich anschauen kann oder mit dessen Bewohnern man sprechen kann, hingegen schon.


Wie haben Sie die Konstruktionsthemen für die Häuser definiert?


Die wichtigsten drei Materialien für den Wohnungsbau sind Beton, Mauerwerk und Holz. Wir haben uns also diese drei Materialien vorgenommen und uns überlegt: Wie kann man so einfach und sortenrein wie möglich bauen? Und uns grundlegende Fragen gestellt: Was macht eigentlich einen guten Wohnraum aus? Im Sommer sollte er nicht überhitzen, im Winter wenig Energie zum Heizen brauchen und trotzdem ganzjährig gut belichtet sein. Wir haben Raumgeometrien untersucht, Referenzjahre simuliert – und am Ende hat sich relativ deutlich ergeben, dass der leistungsfähigste Raum mit drei mal sechs Metern Grundfläche und 3,30 Metern Raumhöhe eigentlich den klassischen Altbau-Zimmern gleicht.



Wie vereinfacht man die Haustechnik?


Haustechnik hält im Durchschnitt 25 Jahre und da ist es natürlich ungünstig, wenn ich die Wand zerstören muss, um die Technik austauschen zu können. Unser Ansatz ist, Technik sichtbar zu führen oder leicht zugänglich zu machen, sodass sie an neue Verhältnisse angepasst werden kann oder Defekte auch punktuell repariert werden können.


Wie müsste gutes Bauen heute eigentlich aussehen?


Global betrachtet sollten wir schauen, dass wir nur Sachen bauen, die wir brauchen. Und wir müssen unseren Flächenbedarf überprüfen: Braucht wirklich jeder in Deutschland 50 Quadratmeter Wohnfläche, obwohl wir vor 30 Jahren noch mit 25 Quadratmetern ausgekommen sind? Dann: Ein kompaktes Volumen ist viel effizienter als ein kompliziert aufgegliedertes Haus, etwa was den Wärmeverbrauch betrifft. Und vollverglaste Gebäude machen überhaupt gar keinen Sinn – denn dann muss man das ganze Haus mit Kühlungs- und Lüftungsanlagen vollstopfen. Die moderne Architektur hat viele lange gültige Erkenntnisse einfach zur Seite geschoben: Dass das geneigte Dach in unseren Breitengraden die sicherste Lösung ist oder dass ein Vordach das Haus darunter schützt und Pflegeintervalle extrem reduzieren kann.



Hinterfragen zeitgenössische Architekten ihr Tun zu wenig?


Die Studierenden und jungen Architekten hinterfragen es auf jeden Fall. Aber für einen Architekten, der die letzten Jahrzehnte anders gedacht und gebaut hat, ist die Umstellung ja auch eine Energieleistung. Das Projekt „Einfach Bauen“ ist in großem Umfang eine gebaute Selbstkritik – und hat mich zu der Erkenntnis geführt, dass das, was ich jetzt mache, sehr viel sinnvoller ist als die Bauweise von vor zehn, fünfzehn Jahren.


Ihre Architektur besinnt sich auf die Materialien vor Ort, die lokalen Handwerker und die Witterungsbedingungen der Region – im Grunde wurde genau so schon früher gebaut. Beschäftigen Sie sich mit traditionellen Bauweisen?


Ja, sehr. Das ist ja geronnene Erfahrung von Jahrhunderten, die in diesen alten Haustypen steckt. Es geht mir aber nicht darum, sie formal nachzubauen, sondern ihre Prinzipien zu verstehen und auf unsere gegenwärtige Situation zu übertragen. Traditionelle Bauweisen sind stark an ihren Standort gebunden – was in Südeuropa funktioniert, lässt sich eventuell nicht auf Deutschland übertragen. Das ist wohl auch ein Grund, warum die Technisierung der Architektur so ein Erfolgsmodell war, denn damit muss man sich eben nicht mit den Voraussetzungen und Verhältnissen vor Ort auseinandersetzen und kann auf der ganzen Welt die gleichen Häuser bauen. 



Beobachten Sie als Professor an einer Hochschule, dass die Studenten heute anders denken?


Es gibt ein Bewusstsein dafür, dass wir an einer Schwelle stehen und wir uns gut überlegen müssen, wie wir Ressourcen einsetzen. Als ich studiert habe, war das völlig nachrangig. Es ging viel um formale Fragen, um Abstraktion und Reduktion. Kein Detail hat mehr widergespiegelt, was eigentlich seine Funktion ist. In meiner Lehre versuche ich zu vermitteln, dass man unter den konstruktiven Anforderungen Details entwickeln kann, die auch schön sind – denn Schönheit ist ja am Ende auch eine wichtige Aufgabe von Architektur. Ich sehe es so: Wenn die Funktion erfüllt ist, die Konstruktion sinnvoll entwickelt ist und das Material sinnvoll eingesetzt ist – dann entsteht Schönheit im Zusammenklang dieser Dinge fast von selbst.


Eines Ihrer jüngsten Projekte ist Ihr Gartenhaus, in das Sie auch mit Ihrem Büro eingezogen sind. Wie ist es, wenn man als Architekt auch die Rolle des Bauherrn übernimmt?


Man hat wahnsinnig viele Freiheiten. Aber es fehlt vielleicht ein kritisches Gegenüber, denn ich finde, aus Reibung entsteht oft etwas Gutes. Allerdings gab es in diesem Fall schon einige Einschränkungen, die mich beim Entwerfen schnell in die richtige Richtung geführt haben. Denn der Garten ist so schön, dass ich ihn nicht komplett zubauen ­wollte, und so musste das Haus eine schmale Grundfläche haben und dafür dreigeschossig werden. Gleichzeitig sollte es flexibel werden. Wenn man sich Gründerzeithäuser anschaut, dann können dort Praxen, Büros oder Wohnungen einziehen, weil sie stabile Grundrisse haben. Das finde ich wichtig – und deswegen kann in unserem Haus jede Etage als Studio oder Wohnraum genutzt werden. 


Für welche Materialien haben Sie sich entschieden?


Ich habe eine Holzhybridweise gewählt, mit einer 30 Zentimeter dicken, massiven Wand und eingeschnittenen Luftkammern, die Decken sind Holz-Lehm-Hybride, wobei die Lehmsteine als Speichermasse dienen und Gewicht mitbringen und so einen Beitrag zum Schallschutz leisten. 



Haben Sie hier auf ein Team oder den Alleingang gesetzt?


Tatsächlich habe ich das Haus quasi nebenbei und allein geplant. Das war aber eine schöne Erfahrung. Denn wenn man 20 oder 30 Mitarbeiter hat, dann entfernt man sich immer weiter vom Bauen, von den Handwerkern und auch von der Planungstiefe. Ich habe mir zum Beispiel die Freiheit genommen, die Details mit der Hand zu zeichnen. Das hat wahnsinnig Spaß gemacht.


Also auch hier die Rückkehr zum Einfachen?


Architekten produzieren zu viele Pläne, manches dient nur der Absicherung und wird gar nicht gelesen. „Einfach ­Planen“ wäre auch noch einmal ein wichtiges Projekt.


Haben Sie mit dem einfachen Bauen eine Sinnhaftigkeit in Ihrer Arbeit als Architekt gefunden?


Es gab so vor zehn Jahren schon den Moment, an dem ich mich gefragt habe: Warum mache ich das eigentlich? Die Beschäftigung mit „Einfach Bauen“ ist auch eine Beschäftigung mit Ressourcen und Nachhaltigkeit – ich habe hier einen Weg gefunden, den es sich zu verfolgen lohnt, der einen wichtigen Beitrag leistet und den kommenden Generationen gegenüber verantwortungsvoll ist.


 


EINFACH BAUEN – DAS PROJEKT


„Einfach Bauen“ ist eine radikale, konsequente und wegweisende Grundlagenforschung der TU München. Unter der Leitung von Prof. Florian Nagler wurden mehrere Tausend Raummodelle untersucht, um Bautypologien zu entwickeln, die im Winter wenig Energie benötigen und sich im Sommer nicht aufheizen. Gleichzeitig wurde die Architektur so vereinfacht, dass sie langlebig, möglichst sortenrein, nachhaltig und umweltverträglich ist. Die Erkenntnisse wurden in Bad Aibling in drei monolithische und mittlerweile bewohnte Forschungshäuser überführt; eines ist komplett aus Holz, eines aus Mauerwerk und eines aus Leichtbeton. Im Birkhäuser Verlag ist folgend der von Florian Nagler herausgegebene Leitfaden „Einfach Bauen“ erschienen, der alle ermittelten Grundlagen und angewandten Strategien vom Detail bis zum großen Ganzen zusammenfasst.