Was passiert, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Gestaltung und Bauplanung ihrer Gemeinde mitbestimmen können?
Im kleinen Bad Feilnbach, das am Fuße des Wendelsteins liegt, hat man in einem Bürgerbeteiligungsverfahren die Einwohnerinnen und Einwohner nach ihren Wünschen gefragt – und dann das junge Architekturbüro HKF aus Tegernsee mit der Umsetzung beauftragt.
Entstanden ist ein generationsübergreifendes Quartier mitten im Dorf – inklusive „Bad Feilnbacher Wohnzimmer“ für alle Bürgerinnen und Bürger, „Bibliothek der guten Dinge“ und einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft.
Das Bad im Ortsnamen hat die Gemeinde Bad Feilnbach den umliegenden Mooren zu verdanken, seinen guten Ruf als Kurort traditionellen Gasthäusern wie dem Tannenhof. Das „Schwarze Gold“ brachte kontinuierlich Kurgäste in den Ort, bis die Krankenkassen die Leistungen stark einschränkten und der Besucherstrom abbrach. Für viele Kurhotels, wie auch den Tannenhof, bedeutete das das Aus. 2002 schloss das Haus, dann stand es brach, zuletzt wurde das im Ortskern gelegene Areal als Parkplatz genutzt. Denn die Familien Steinbichler und Schulz, die den Kurbetrieb einst geführt hatten, wollten sichergehen, dass an diesem für Bad Feilnbach so wichtigen Ort etwas Gutes entsteht. Als Max von Bredow vor einigen Jahren mit der Idee für den neuen Tannenhof an sie herantrat, ließen sie sich überzeugen. Teil seines Plans: Die Bürgerinnen und Bürger nach ihren Visionen fragen.
Karolin Knote, Markus Hölzl und Johannes Fischholz führen zusammen ein Architekturbüro am Tegernsee. Die Architekten sind Fürsprecher des alten, natürlich gewachsenen Dorfs. Nicht aus Romantik, sondern wegen ihrer emotionalen Qualität, den kollektiven Begegnungsräumen und dem narrativen Charakter von Bautraditionen. Sie glauben fest daran, dass sich diese lang bewährten Qualitäten auf zeitgenössische Architekturprojekte übertragen lassen. Mit HKF Architekten hat Quest einen kongenialen Partner für den neuen Tannenhof gefunden, der gemeinsam mit dem Wiener Büro nonconform auch den partizipativen Prozess mit den Bürgerinnen und Bürgern begleitet hat. „Wir haben mit verschiedenen Gruppen Workshops veranstaltet, in denen in Brainstormings Ideen gesammelt wurden. Da waren Schulklassen dabei, Familien und auch die ältesten Anwohner. Am Ende haben wir dann ein Modell gebaut, in dem wir alle geforderten Funktionen auf dem Gelände positioniert haben.“
Markus Hölzl erzählt, dass sich viele vor allem einen einladenden Charakter und Aufenthaltsqualität gewünscht haben. „Da kamen keine wahnwitzigen Ideen, sondern alles war recht bodenständig. Für viele war wichtig, dass das Gelände ein angenehmer Durchgangsraum wird, weil man vielleicht auf der anderen Seite zum Supermarkt möchte. Gleichzeitig hat man sich natürliche Materialien wie Holz und einen an den lokalen Traditionen orientierten Baustil gewünscht“. Aber es gab auch Erkenntnisse, die unerwartet waren. „Schüler haben uns erzählt, dass sie eigentlich gern in ein Café gehen würden – sich die Getränke aber nicht leisten können. Sie wollten einen Raum, in dem sie nicht konsumieren müssen oder aus dem sie verscheucht werden“, erzählt Max von Bredow. „Den Blickwinkel hat man als Erwachsener oft nicht mehr“. Das Feedback der Schülerinnen und Schüler hat zu einem der wichtigsten Pfeiler des neuen Tannenhof geführt: einem Wohnzimmer für alle.

Das großzügige „Bad Feilnbacher Wohnzimmer“ dient als zentraler und sozialer Treffpunkt, ist aber nicht der einzige kommunikative Raum. Weil die Garage unterirdisch angelegt wurde, sind die Autos aus dem Quartier verschwunden. Hochbeete, die gemeinschaftlich bepflanzt werden können, ergänzen den öffentlichen Raum und die privaten Gärten. Ratschbankerl laden zum Plausch ein und die „Bibliothek der guten Dinge“ ist die lokale Perspektive auf die Ökonomie des Teilens. Hier können die Bürgerinnen und Bürger Dinge zur Verfügung stellen und ausleihen, die sich nicht jeder selbst anschaffen möchte – wie eine Bohrmaschine oder ein Fondue-Set. Auch darin steckt ein Beitrag zur Wohnqualität, weil es Stauraum spart.
Überhaupt ist der neue Tannenhof der Idee verpflichtet, dass gewinnt, wer teilt: Ähnlich wie das gemeinschaftliche Wohnzimmer lagern die beiden Büros des Geländes Funktionsfläche aus dem privaten Wohnraum aus. Kinder werden in der Tagesstätte betreut, eine ambulant betreute Wohngemeinschaft richtet sich an Menschen, die in ihrem Alltag auf Hilfe angewiesen sind. Der Tannenhof ist für alle da. Für Max von Bredow steht das Projekt exemplarisch für das Motto, das er sich mit Quest gesetzt hat. „Hier konnten wir verwirklichen, was wir unter besser bauen. besser leben. verstehen. Nicht einfach nur tolle Wohnungen, sondern ein lebendiges neues Quartier.“
Die
Gemeinde
musste
umdenken
Heidrun Schulz ist auf dem Tannenhof aufgewachsen, genauso wie ihr Sohn Maximilian. Bis zur Schließung arbeitete sie im Kurhotel. Sie erzählt vom Leben mit den Gästen, den Folgen der Gesundheitsreform und warum ihre Familie im Sinne des Ortes das Grundstück nach der Schließung nicht an den Erstbietenden abgegeben hat.
Frau Schulz, wie war Ihre Kindheit auf dem Tannenhof?
Sehr unbeschwert. Ich war immer umgeben von Menschen, die nach mir gesehen und mit mir gespielt haben. Später habe ich in den Ferien in allen Abteilungen des Kurhotels gearbeitet.
Welche Bedeutung hatte der Tannenhof für Ihre Familie?
Er war unser Leben. Meine Großeltern haben das frühere Kurheim Ehrl 1962 gekauft, umgebaut und entsprechend erweitert. Um 1972 kamen Neubauten hinzu und wir hatten dann insgesamt etwa 100 Betten. Meine Mutter hat das Kurheim vorübergehend allein geführt, bis ich nach meinem Studium mit eingestiegen bin. Mein Sohn ist hier genauso aufgewachsen wie ich.
Woher kamen die Kurgäste?
Begonnen haben wir mit den Kriegsversehrten und Witwen, später wurden Verträge mit den Krankenkassen über Rehamaßnahmen und vorbeugende Kuren zum Erhalt der Arbeitskraft geschlossen – das war die Hochzeit der Kuren. Unsere Gäste kamen aus ganz Deutschland.
Wie hart hat Sie und den ganzen Ort damals die Gesundheitsreform getroffen?
Überaus hart! Es gab die Gesundheitsreform in zwei Schritten – zuerst wurde das Intervall von einer Kur zur nächsten von drei auf vier Jahre ausgedehnt, zum anderen die Aufenthaltsdauer von vier auf drei Wochen gekürzt – das bedeutete einiges an Einbußen.
Und viele Gäste wollten keine Eigenleistungen zahlen. 2002 haben wir unser Haus geschlossen. Wegen der rückläufigen Zahl an Kurgästen musste leider ein Geschäft nach dem anderen schließen – und die Auswirkungen haben dann auch alle Bewohner von Bad Feilnbach spürbar getroffen. Die Gemeinde musste umdenken: weg vom reinen Kurort, hin zu einem lebendigen, interessanten Ort für den „Alltags“-Urlauber.
Wie kam es, dass Sie sich für eine Revitalisierung des Areals zusammen mit Quest entschlossen haben?
Meinen Eltern und Großeltern hat der Gedanke gefallen, dass hier etwas entsteht, von dem der Ort profitiert – es war ihnen sehr wichtig. Wir hätten das Grundstück schon früher für eine Bebauung verkaufen können, aber sie waren an einer „reinen“ Bebauung, ohne dass auch Gemeindebürger etwas davon haben, nicht interessiert. Das Konzept von Quest hat ihnen sehr zugesagt. Es war eine gute Basis für eine neue Entwicklung.
Freuen Sie sich auf den Tannenhof 2.0?
Ja sehr – wir sind sehr gespannt, wie die Idee, die dahintersteckt, umgesetzt und dann auch gelebt wird – denn das hängt natürlich auch von den zukünftigen Bewohnern ab.