Das heißt, eigentlich machst du auch Stadtplanung. Es dreht sich nicht mehr nur um das einzelne Gebäude, sondern es sind ganze Areale, die da bespielt werden sollen und wo neue Nutzungen überlegt werden. Nicht nur: „Was macht man mit dem alten Gasthof in der Ortsmitte?“, sondern auch: „Wie entwickele ich ein ganzes Zentrum neu?“.
Ja. Eine gute Partizipation beginnt im Quartier und endet im Idealfall mit dem einzelnen Gebäude. Und auch da gibt es unglaublich spannende Entwicklungen. Nehmen wir nur das Beispiel Schule. Wenn wir für Gebäude möglichst vielschichtige Nutzungen produzieren wollen und möglichst wenig Leerstand, dann wäre hier die interessante Frage: Wie können wir eine Schule in der Zeit nutzen, in der keine Schule ist? Oder wie kann ich halb leer stehende Einfamilienhäuser, wo die Kinder aus dem Haus sind und in denen oft nur noch eine ältere Person wohnt, teilen und als Wohnraum zur Verfügung stellen, weil gleichzeitig Baugrund für junge Menschen zu teuer ist? Auch das sind Themen, die uns stark beschäftigen.
Noch einmal zurück zur Stadtplanung. Es gibt da zwei interessante Begriffe. Einen gab es schon, den „Donut-Effekt“. Von dir stammt der zweite: der „Krapfen-Effekt“. Was hat es damit auf sich?
Der „Donut-Effekt“ beschreibt die Entwicklung von Städten und Orten, die wir über die Jahre gesehen haben. Früher mal hat es relativ starke Ortskerne gegeben, innerhalb der Stadtmauer war alles mehr oder weniger kompakt unter einem Dach. Und durch die Motorisierung ist das Ganze dann in die Fläche gegangen, hinaus aus dem Zentrum. Man hat woanders gearbeitet, man hat woanders die Freizeit verbracht und wieder woanders eingekauft. Das heißt, automatisch ist alles auf das Auto und die Straße ausgerichtet. Der Ortskern hat keine wirkliche Funktion mehr, wie ein Loch im Donut. Unsere Überlegung war: Was kann man tun, um diesen Strukturwandel der ländlichen Räume und den Leerstand der Mitten aufzuhalten oder sogar umzukehren? Und wir haben dann vor einigen Jahren zu einem Gegeneffekt aufgerufen, der eben kein Loch haben soll.
Der „Krapfen-Effekt“.
Richtig. Wir wollen, wie beim Krapfen, in die Orte sozusagen das süße Leben zurück in die Mitte bringen. Ich muss schauen, dass ich nicht nach außen, sondern wieder nach innen wachse. Ich muss schauen, dass neue Nutzungen entstehen, neue Bewohner, Geschäfte und Büros ins Zentrum kommen und dass der öffentliche Raum wieder wichtiger wird. ich muss die Transformation eines Ortes in den Griff bekommen. Das ist allerdings ein Kraftakt. Der Krapfen war das richtige Bild, um dieses Thema in die Köpfe zu kriegen.
Wie genau kann man sich diese Transformation vorstellen?
Nun, sie verändert zum Beispiel die Art und Weise, wie wir arbeiten. Corona hat gezeigt, dass nicht nur Selbstständige, sondern auch Angestellte problemlos von zu Hause aus ihrem Job machen können, und daher nicht mehr pendeln müssen. Das ist eigentlich ein Lotto-Sechser für unsere Orte und natürlich für die Umwelt. Wenn wir dieses riesige Potenzial des Nicht-Pendeln-Müssens nach dem Motto „Homeoffice ist zwar nett, aber gemeinsam Homeoffice machen wäre noch viel netter“ weiterdenken, dann entsteht folgendes Szenario. Die Arbeitgeber zahlen für die Mitarbeitenden sogenannte Coworking-Arbeitsplätze in ihren Heimatorten und so können Public-Homeoffices für Selbstständige und Angestellte entstehen. Die Leute bleiben dadurch im Dorf, arbeiten gemeinsam und nicht sozial vereinsamt, essen im Gasthaus und kaufen wieder im Nahversorger und nicht mehr in Einkaufszentren der metropolitanen Ausfahrtsstraßen ein. Und aus Pendler- und Schlaforten könnten wieder nutzungsdurchmischte Orte mit hoher Lebensqualität werden.
Das alles geschieht natürlich nicht von heute auf morgen.
Nein. Hier handelt es sich um komplexe Prozesse mit vielen beteiligten Akteuren in unterschiedlichsten Bereichen. Aber man muss die Eckpfeiler dafür einschlagen, die Vision zu gehen beginnen und Immobilieneigentümer, die Wirtschaft, die Öffentlichkeit und die Politik zusammenbringen und miteinander weiterdenken. Und damit die Dominosteine für die Umsetzungen ins Rollen kommen, brauchen wir Menschen, die sich darum kümmern, die sogenannten Kümmerer. Dann kann aus Leerständen wieder ein Lebensraum werden und eine neue Mitte für unsere Orte entstehen. Diese Transformation braucht aber einen langen Atem, 10 bis 15 Jahre muss man schon durchhalten. Das ist die Herausforderung.