Hermann Kaufmann

P I O N I E R
I M
E I G E N E N
F E L D



Holz, Heimat, Handwerk – das sind wohl die wichtigsten Einflussfaktoren für die ­Gebäude von Hermann Kaufmann. 1955 wurde er im Bregenzerwald geboren und wuchs in einer alteingesessenen Zimmererfamilie auf.

Als Architekt führte er die ­Auseinandersetzung mit dem Baustoff fort, als ein Pionier seiner Profession lotete er die ­Möglichkeiten des modernen Holzbaus aus. Im Gespräch erzählt er von der kreativen Aufbruchstimmung Vorarlbergs, dem Ende eines Dornröschenschlafs und wie die Sonne zum Materialproduzenten und zum Komplizen einer nachhaltigen Baukultur wird.


SICHERHEITSZENTRUM BEZAU // Ein Solitär in der Landschaft: Das neue Zuhause der Feuerwehr ist bis auf wenige Details eine reine Holzkonstruktion und trägt ein Fassadenkleid aus Fichte. // Foto: Norman Radon

Wie war die Kindheit in einer Zimmererfamilie in Vorarlberg?


Wir waren acht Kinder und wohnten mit unseren Eltern und den Großeltern in einem ehemaligen Bauernhaus mit einer Zimmerei. Unser Leben fand mitten im Betrieb statt. Schon sehr früh habe ich mit meinem Großvater in der Werkstatt gearbeitet, später dem Vater auf der Baustelle ausgeholfen. Wir standen schon in jungen Jahren ganz zuoberst auf dem Dachstuhl.


Hatten Sie daran Freude – oder war das vor allem eine familiäre Verpflichtung?


Wir waren natürlich stolz, dass wir gebraucht wurden und Verantwortung tragen durften. Manchmal wären wir schon lieber durch die Wälder gestreift oder hätten Fußball gespielt. Heute sehe ich es als großes Glück, dass wir ins Handwerk hineinwachsen durften. Wir haben damit tagtäglich etwas erfahren, was in der Ausbildung und gerade im Architekturberuf heute oft vernachlässigt wird: begreifen lernen im wahrsten Sinn des Wortes.


NEBELHORNBAHN TALSTATION, OBERSTDORF – KLEINWALSERTAL // Mitten im Ort und eingebettet in die Allgäuer Alpen, verteilen sich die Funktionsbereiche der Luftseilbahn auf drei Gebäude. Die Station selbst besteht aus Holzparabeln und gebogenem Glas. // Foto: Bruno Klomfar

Woher kam der Impuls, Architektur zu studieren?


Mein Onkel hatte im Dachgeschoss unseres Mehrgenerationenhauses sein Atelier als Architekt. Wir sind als Jungen immer in seinem Büro gewesen. Er hatte selbst eine Zimmererlehre bei seinem Vater gemacht und dann studiert. Als er in unser Dorf zurückkehrte, hat er die ersten Holzgebäude errichtet. Er war ein Pionier. Das hat mich sehr geprägt.


Vorarlberg ist Ihre Heimat – eine Region, in der Architektur und Handwerk zur Tradition und Identität ­gehören. Was glauben Sie, warum das so ist?


Schon früher standen auch bei den normalen Bürgern und Bauern sehr schöne Tischler­ar­beiten. Das Haus und das Wohnumfeld waren Teil der Außendarstellung. In den 1960er-Jahren dann arbeitete in Vorarlberg eine progressive Architektenschaft, die versuchte, den Spagat zwischen Historie und Moderne zu bewerkstelligen. Sie haben moderne Bauten mit hoher handwerklicher Qualität eingefordert und umgesetzt; haben relevante Entwicklungsschritte vorweggenommen und zum lokalen Alleinstellungsmerkmal gemacht. Von der Aufbruchstimmung damals hat das zu einer Kultur heute geführt, die den Stolz aufs Handwerk zurückgebracht hat: Es ist nicht wichtig, was man baut, es ist wichtig, wie man es baut.


LINO, MONTAGNOLA // Die Lage als Entwurfsparameter: Der fast schwebend wirkende Baukörper sitzt an einem steilen Hang mit Panoramablick über den Lago Lugano. Holzelementwände, Brettschichtdecken und eine Innenwandverkleidung aus ­Tanne kommunizieren Haptik und Wärme. // Foto: DI Roland Wehinger

Wie hat Vorarlberg Sie geprägt?


Ich habe im Studium erlebt, dass die Professoren uns veraltete Technologien gelehrt haben – Dinge, die mein Vater schon nicht mehr gemacht hat. Holz hat in der Architekturlehre eigentlich keine Rolle gespielt. Die Entwicklung ist damals hin zu Stahl und Beton gegangen und der Holzbau lag in einer Art Dornröschenschlaf. Einen Teil meines Wissens zog ich aus der Diskussion am Esstisch: mit meinem Vater, meinem Großvater oder meinem Bruder. Dadurch habe ich mich laufend weiterentwickelt.


Sie waren ein Pionier im eigenen Feld, mittendrin in Entwicklungen und Forscher an der Innovation. Wie sehen Sie Ihre Geschichte im Rückblick?


Ich habe mit meinem Büro immer wieder versucht, Grenzen zu übertreten, neue Dimensionen zu realisieren. Es wurde oft gefragt: Warum Holz? Wie funktioniert die Konstruktion? Da waren noch lange alte Ressentiments: Holz quietscht, fault, brennt, ist unzulänglich oder hält nicht lang. Das musste mühsam ausgeräumt werden. Und die aktuelle Architektur belegt definitiv, dass diese Dinge nicht relevant sind.

OLPERERHÜTTE // Auf 2400 Metern wurden die in der Zimmerei vorgefertigten Elemente mit dem Helikopter angeliefert. Hermann Kaufmann: „Einziger Luxus ist das riesige Panoramafenster ins Tal. Doch dafür kommt man ja rauf.” // Foto: Architekten Hermann Kaufmann

Welche Vorteile hat Holzarchitektur? Wie argumentieren Sie als Fürsprecher?


Holz erlebt einen großen Boom, weil es ein von der Sonne erzeugtes Material ist. Mit ihm lässt sich nachhaltig bauen. Ein zweiter Vorteil ist der Bauprozess. Wer die Abläufe auf Baustellen kennt, der weiß, dass dort derzeit ein immenser Qualitätsschwund stattfindet. Es fehlt an gut ausgebildeten Arbeitern. Holzbau ist hier eine Lösung, weil sich viel in der Werkstatt vorfertigen lässt. Dadurch steigt die Qualität enorm und auf der Baustelle geht durch die Montagebauweise alles sehr schnell.


Wie steht Holzbau denn im Vergleich zu anderen Materialien in Bezug auf die Kosten da?


Wichtigste Grundvoraussetzung für den Holzbau ist, dass man holzbaugerecht plant und nicht erst nach der abgeschlossenen Planung übers Material nachdenkt. Kostenintensiv wird es meist dann, wenn Kopfstände gemacht werden, um Nicht-Holzentwürfe umzusetzen. Wenn Holz, dann von Anfang an, mit guten Architekten und Ingenieuren – dann ist Holz sehr konkurrenzfähig.


Warum bauen wir überhaupt noch mit was anderem? Wo kommt Holz an seine Grenzen?


Der Holzbau steht nicht vor technologischen Hindernissen, sondern vor strukturellen. Die Zimmereibetriebe, die viele Jahrzehnte mit einem überschaubaren Bedarf umgegangen sind, müssen gerade schlagartig große Dimensionen stemmen. Das geht einfach nicht so schnell.


ILLWERKE ZENTRUM MONTAFON, VANDAN // Superlative im Supertempo: Zum Zeitpunkt der Fertigstellung 2013 war das 120 Meter lange Zentrum das größte Bürogebäude aus Holz in Mitteleuropa, das Fügen der Holzkonstruktion brauchte gerade einmal sechs Wochen. Um es auf der Baufläche unterzubringen, ließen die Architekten den Riegel über den See kragen. Mittlerweile wurden auch andere Holzgebäude in ähnlichen Dimensionen realisiert. // Foto: Bruno Klomfar

Welche Ratschläge würden Sie der Politik für die Stadtentwicklung geben?


Vorarlberg ist ein gutes Beispiel: Unsere Bürgermeister haben gute Architektur als kulturelles Thema ­erkannt. Dabei werden Sie von Architekten vor Ort, aber auch von Gestaltungsbeiräten unterstützt. In Vorarlberg werden Gemeindegebäude nicht mehr direkt beim nächstbesten Planer in Auftrag gegeben, sondern durchlaufen Architekturwettbewerbe. Außerdem ist Vorarlberg beim Thema Nachhaltigkeit in die Gänge gekommen. Es gibt den Auftrag der Energieautonomie bis 2050, und da steht natürlich auch das nachhaltige Bauen im Fokus. Ganz klar ist damit auch Holz zum Thema geworden und die Gemeinden übertrumpfen sich derzeit gegenseitig mit wahnsinnig schönen, in Holz umgesetzten Gebäuden.


Welche Zukunft wünschen Sie dem Holzbau?


Wir haben mittlerweile viele gute ikonische Gebäude, die zeigen, was Holz im Extremen kann. Jetzt geht es darum, im Gewerbe-, Objekt- und Wohnbau herkömmliche Materialien durch Holz zu substituieren. Das ist gerade für mich der wichtigste Fokus.



Supermarkt Wörthsee // Supermärkte werden oft als monothematische Flachbauten mit vorgelagerten Parkplätzen geplant – und besetzen dadurch wertvolle urbane Flächen. Der Supermarkt Wörthsee geht andere Wege. Im Sinne einer Mischnutzung hat Hermann Kaufmann Wohnungen im Obergeschoss vorgesehen. Mit einer Fläche von 28 bis 63 Quadratmeter sind sie als sogenannte „Starterwohnungen“ gedacht, die sich mit günstigen Mieten an junge Menschen und Familien richten. Alle Parteien profitieren von den Synergieeffekten. Der Landverbrauch wird minimiert, die kompakte Bauform spart Energie und sogar die Abwärme des Marktes kann ganzheitlich genutzt werden. Seine grünen inneren Werte trägt der Bau auch ästhetisch nach außen. Die feine Lattung der Fassade aus Naturholz wird mit der Zeit vergrauen und sich harmonisch in die Landschaft einfügen. Und: Allein das hier verbaute Holz speichert 380 Tonnen CO2. Das ist so viel, wie ein Mittelklassewagen bei 45.000 Fahrten von Wörthsee nach München und zurück verbrauchen würde.


Schauen Sie gerne auch das Video mit Prof. Hermann Kaufmann auf der Website der Baukultur­wochen www.besser-bauen-besser-leben.de